04.11.2024

Gott vs. Gott?

Immer wieder begegnet mir in den Glaubenskursen die Meinung, dass der Gott des Alten Testamentes ein Gott der Gewalt und der Strafe und der Gott Jesu Christi ein liebender und verzeihender Gott sei. Diese Spannung ist der Kirche gleichsam in die Wiege gelegt. Seit dem 1. Jahrhundert nach Christus beschäftigt Christen diese Frage.

VON PHILIPP FROEHLING

Nur Gewalt im Alten Testament?

Gewalt und Unrecht sind Phänomene des menschlichen Lebens. Es verwundert daher nicht, dass diese Erfahrungen auch in der Bibel dargestellt werden. Kain erschlägt seinen Bruder Abel. (vgl. Gen 4,8) Ein ägyptischer Aufseher schlägt einen Israeliten, woraufhin Mose aus Rache den Ägypter ermordet. (vgl. Ex 2,11f.) Auch König David verfällt der Gewalt, als er nach einer Affäre den Mann Bathsebas zu Tode kommen lässt. (vgl. 2Sam 14-17) Ebenso wird der Fall Jerichos und die Landnahme durch das Volk Israel nicht ohne menschliche Opfer abgelaufen sein. Blickt man auf den hebräischen Text wird Gott nicht mit diesem menschlichen Unrecht in Verbindung gebracht. Im Gegenteil, er verurteilt diese Taten (z.B. Ps 11,5: „Der HERR prüft Gerechte und Frevler; wer Gewalttat liebt, den hasst seine Seele.“)


Dennoch: Gott greift machtvoll und gewalttätig ein, um seine Schöpfung zu wahren, als Richter aufzutreten und seine Heilszusage an sein Volk Israel durchzusetzen. Er ist gerade dann ein Gott der die Gewalt durch sein göttliches Eingreifen beendet. (vgl. z.B. Ps 54,7-9; Ps 58,7-12) JHWH bleibt bei all diesen Gewaltexzessen ein Gott, der bis zum Äußersten geht, weil er sich nach den Menschen sehnt und sein Volk liebt. Er lässt mit sich handeln (vgl. Gen 18,23ff.) und ist, wie das Beispiel David zeigt, auch barmherzig.

Nur Liebe im Neuen Testament?

Das Leben Jesu beginnt mit dem Mord an den Kindern von Bethlehem durch Kaiser Herodes. (Mt 2,16-17) Johannes der Täufer wird hingerichtet. (Mk 6,27) Im Zuge der Tempelreinigung tritt Jesus selbst gewalttätig auf und vertreibt die Händler aus dem Heiligtum. (Joh 2,13-25) Auch angesichts seiner Verkündigung greift Jesus immer wieder zu Bildern der Gewalt (z.B. Mt 10;34: „Denkt nicht, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen! Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“) Auch ein Jünger Jesu greift zum Schwert, um die Verhaftung ihres Meisters zu verhindern. (vgl. Joh 18,10) Schließlich wird der Gottessohn selbst Opfer menschlicher Gewalt durch seine Hinrichtung am Kreuz. Bis zum Schluss bleibt Jesus der Rettende gerade im Moment von Schmerz und Tod: „Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.“ (Lk 23,43)

Gott ist mehr als nur…

Vier Worte braucht der Autor des 1. Johannesbriefes um Gott zu charakterisieren: „Gott ist (die) Liebe.“ (1 Joh 4,16) Ist damit alles gesagt? Ja und Nein. Ja, weil das Wesen Gottes die Liebe ist. Aufgrund dieser verzehrenden Liebe ist er bereit wirklich alles für uns hinzugeben, sogar seinen Sohn und damit sich selbst. Dieses Wissen übersteigt unsere menschliche Fähigkeit zur Liebe.
Es erscheint manchmal sogar paradox wie Gottes Liebe wirkt.


Gott ist größer als unsere Vorstellungskraft und viel größer als die Schublade, in die wir ihn gerne stecken wollen. Das Bild der Bibel zeichnet daher viele unterschiedliche Facetten von Gotteserfahrungen und wir sind eingeladen, ihm auch heute zu begegnen.

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