Die Wirkkraft persönlicher Beziehung

VON P. GEORG GANTIOLER FSO
Vor ein paar Wochen durfte ich eine Pilgergruppe zu verschiedenen Wallfahrtsorten in Frankreich begleiten. Unter anderem waren wir auch in Savoyen, in Annecy, der Stadt des hl. Franz von Sales. Er war von 1602 bis zu seinem Tod im Jahr 1722 Bischof von Genf. Da Genf aber unter der Herrschaft der protestantischen Calvinisten war, musste er seine Diözese von Annecy aus leiten.
Den Menschen verstehen
Franz war adelig, hoch begabt und hatte auf dem Weg seiner Ausbildung viele persönliche Erfahrungen gemacht. Vor allem der Blick auf die eigenen inneren Regungen und Kämpfe und das Gespür für das, was in den Herzen anderer vorging, hat ihm die Augen geöffnet für die Beschaffenheit des menschlichen Herzens. Er versuchte, die Entwicklungen seiner Zeit und die Fragen der Menschen vom Herzen des Menschen her zu verstehen. So wurde er ein kompetenter und gesuchter geistlicher Begleiter. Sein schriftlicher Nachlass ist nichts Anderes als Theologie, die aus der Erfahrung kommt. Unzählige Briefe der Freundschaft und Begleitung zeugen davon.
Der Gott des Herzens
Franz hat verstanden, dass der echte Glaube keine theoretische Auffassung ist und dass er nicht allein durch gute Informationen über Gott und die Welt entsteht. Es ist das Herz des Menschen, in denen sich Gotteserfahrung ereignet. Im Herzen und durch das Herz erkennt der Mensch Gott und sich selbst. Wahre Frömmigkeit sah er darum nicht als etwas Frommes, das sich neben dem konkreten Leben, sozusagen als „Sahnehäubchen“ des Lebens, zeigt. Er war überzeugt, dass ein echtes religiöses Leben alles Bereiche des Lebens ergreifen muss, alle Umstände, alle Lebensformen und Aufgaben. Frömmigkeit ist „ein Lebensstil, eine Art und Weise, das konkrete tägliche Leben zu leben. Sie nimmt die kleinen Dinge des Alltags auf und deutet sie, Essen und Kleidung, Arbeit und Freizeit, Liebe und Elternschaft, das Achten auf berufliche Pflichten; kurzum, sie erleuchtet die Berufung eins jeden.“ So fasst Papst Franziskus einmal die Lehre des hl. Franz von Sales zusammen.
Wie ein fußloser Vogel
Einmal zitiert Franz in seinen Werken den griechischen Philosophen Aristoteles. Diese hat einmal Vögel beschrieben, deren Beine so kurz und deren Füße so schwach sind, dass sie sich ihrer nicht bedienen können. Sie müssen auf den Wind warten, der sie forttreibt, sofern sie dann die Flügel ausbreiten. Für Franz ist das ein Bild für die Beziehung von Mensch und Gott. Gottes Wirken im Menschen ist sanft wie eine Briese des Windes. Wenn der Mensch dann seine „Flügel“ ausbreitet, also auf das Wirken Gottes eingeht, dann trägt ihn die Gnade Gottes. Aber Gott zwingt den Menschen nicht, die freie Zustimmung des Menschen, die seiner Würde entspricht, wird von Gott in keiner Weise vorweggenommen oder zerstört. So ging daher Franz auch mit den Menschen seiner Zeit um, und diese „Methode“ hatte großen Erfolg: Er wollte durch seine Verkündigung die Herzen der Menschen berühren und auf ihre Sehnsüchte hin ansprechen. Aber das sollte nicht Überredung oder gar Zwang sein. Er wollte „Gott anbieten“ – mit Wohlwollen, Respekt und Güte – und vertraute auf die Fähigkeit des menschlichen Herzens, dann selber in Freiheit die entsprechenden Schritte zu setzen.